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 Pressespiegel
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Coaching

Das Kind ohne Makel

12.04.2013 . Erwachsene schicken ihren Nachwuchs zum Coach. Ist das die Folge gesellschaftlicher Optimierungszwänge oder eine wirkliche Hilfe für Kinder, die unter seelischen Beschwerden leiden?

Von Eva Berendsen

Als Emma von der Klassenfahrt zurückkehrte, war alles wieder da. Die Mutter erinnert sich an das traurige Gesicht der Tochter, an die leise Stimme. „Eigentlich ist sie ein fröhliches Kind, aber plötzlich war Emma wieder total verschüchtert.“ So hatte sie sich schon einmal verhalten, Monate zuvor, als kein Schultag verging, an dem Emma nicht unter ihren Mitschülerinnen litt. Vielleicht, weil sie etwas zu hübsch aussieht. „Neid treibt wilde Blüten“, sagt die Mutter. Sie hatte angenommen, die Zeit des Mobbings sei vorbei, weil die Gespräche in der Klasse, mit den Lehrern und Eltern, ausgereicht hätten. Offenbar hatten sie das nicht.

Emma wechselte die Schule, die Zwölfjährige sollte neu anfangen. Deshalb möchte sie auch nicht, dass ihr richtiger Name und der ihrer Mutter in der Zeitung stehen. Damit die Tochter an der neuen Schule nicht noch einmal dasselbe durchmachen muss, suchte die Mutter Hilfe. Mit einem Psychotherapeuten kam Emma nicht zurecht, „der wollte nur sitzen und reden“, wie die Mutter sagt. Dann kam Angelika Fuchs.

Angelika Fuchs, eine resolute Frau Ende vierzig, arbeitet in Köln als Kindercoach. Sie betreut Kinder, die sich nicht aufs Lernen konzentrieren können, die sich manchmal selbst im Wege stehen, die hibbelig und zappelig sind. Manche werden gemobbt wie Emma. Und bei manchen haben die Eltern Sorge, dass sie einmal gemobbt werden könnten. Dann coacht Angelika Fuchs gewissermaßen prophylaktisch. „Meistens ist Kindercoaching der Schritt vor dem Psychologen“, sagt die ehemalige Grundschullehrerin.

Schnelle Lösungen durch Coaching

Der Unterschied zur Psychotherapie sei: Coaching ist auf schnelle Lösungen orientiert, ein Coach blickt weniger auf die Schwächen, sondern auf die Stärken der Klienten. Da ist zum Beispiel ein Kind mit Lernschwäche. Zusammen mit dem Coach überlegt es sich, was es davon haben könnte, bessere Leistungen zu erbringen. Eine Vision. „Wenn die Eltern weniger schimpfen, kann das schon eine gute Motivation sein“, sagt Fuchs.

Probleme haben diese Kinder nicht, allein weil das Wort "Problem" im Coaching-Vokabular nichts zu suchen hat. Es ist vielmehr die Rede von Blockaden, die es zu lösen gilt, damit sich Potentiale voll entfalten können. Und von Fähigkeiten, die man wieder neu erlernt. Was die Großen seit einiger Zeit mit Begeisterung tun, um im Job, in der Partnerschaft oder im Sport besser zu "performen", will man den Kleinen nicht vorenthalten. "Heute lassen sich ja viele Mittelschichtseltern coachen", sagt Emmas Mutter, "da ist der Schritt zum Kindercoach nur logisch."

Als Emma zu Angelika Fuchs kam, war das Mädchen verängstigt. Sie konnte die Namen der Mitschülerinnen nicht aussprechen, unter denen sie gelitten hatte. Sie konnte auch nicht mehr an ihrer alten Schule vorbeilaufen. Ein richtiges Trauma habe Emma zwar nicht gehabt, sagt die Mutter. Aber sie habe einen Schuss neues Selbstbewusstsein benötigt. Zunächst sei es darum gegangen, Emmas Selbstwahrnehmung zu trainieren. Fuchs skizziert es so: "Wie trete ich in der Gruppe auf? Wie laut ist meine Stimme, wie fest mein Händedruck? Habe ich vielleicht schon 'Opfer' auf der Stirn stehen?"

"Eine Therapie hat gleich diesen Psycho-Touch"

Sie machte mit dem Mädchen Rollenspiele, Coaching-Basisarbeit: Emma sollte zum Beispiel plausibel machen, warum ihr auf der Schulter eine "Blume" wächst. Es fördere die Schlagfertigkeit, sagt Fuchs, wenn das Kind absurde Geschichten überzeugend rüberbringen kann. Ein anderes Mal sollte sich Emma vorstellen, sie ringe in einem Modegeschäft mit einer Kundin um das letzte T-Shirt im Regal. Dann sollte sie sich einen inneren Anker ausdenken, der sie seelisch und körperlich aufrichten kann, wenn sie es nötig hat. Manche Kinder wählen Bäume, andere Fahnenmasten. Emma entschied sich für den Kölner Dom, der sie fortan von innen stützen soll.

300 Euro zahlte die Mutter für fünf Sitzungen. Eine Psychotherapie hätte die Krankenkasse übernommen. "Aber eine Therapie hat gleich diesen Psycho-Touch", sagt die Mutter und windet sich etwas. "Außerdem dauert sie viel länger." So ergehe es vielen Eltern, die ihre Kinder coachen lassen, vermutet Günter Koch, Geschäftsführer der Berliner Akademie für Psychotherapie, an der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten ausgebildet werden. Einer Therapie hafte immer noch der Makel an, jemand sei schwach und krank. Doch man müsse klar unterscheiden.

Mit depressiven oder selbstmordgefährdeten Kindern beispielsweise sollten Eltern nicht zum Coach, sondern zu einem Psychotherapeuten oder Psychiater gehen. Eine lange Psychotherapie sei allerdings nicht bei jeder Lernschwäche, jeder Schwierigkeit unbedingt nötig. "Man muss tatsächlich nicht jedes Problemchen gleich pathologisieren", glaubt Koch. Natürlich passt das Coaching von Kindern in die Zeit. "Die Eltern sind heute stark verunsichert", sagt Koch, der selbst Psychologischer Psychotherapeut ist. Viele hätten Angst, dass ihre Kinder den Anschluss verlieren, und glaubten daran, dass das Kind mehr könne, als es zeige.

Allzu viel Entlastung darf nicht erwartet werden

Man kann sich allerdings ganz generell fragen, was eigentlich so problematisch daran ist, wenn ein Kind nicht alles gibt. Wenn es manchmal lieber für sich ist als in der Gruppe. Wenn es beim Schwimmen noch etwas ängstlich und in der Theatergruppe zurückhaltend ist. Und wo die Grenzen liegen zwischen kleinem Anschub und Optimierungszwang, dem sorglosen und dem makellosen Kind. In Zeiten, in denen manch Dreijähriger Chinesisch lernt, stehen Eltern wohl unter Druck, alles aus ihren Kleinen herauszuholen. Man will sich später ja nichts nachsagen lassen.

"Wir schicken die Kinder zweimal pro Woche zur Nachhilfe, zum Sport, zur Musikförderung, und dann auch noch zum Coach", kritisiert Stefan Drewes den Trend. Er ist Vorsitzender der Sektion Schulpsychologie beim Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen. Eltern sollten lieber innehalten und sich fragen: Was vermittele ich eigentlich meinem Kind, wenn ich extern einen Spezialisten einkaufe? Laut Drewes ist die Botschaft der Eltern: "Allein schaffst du es ja nicht."

Allzu viel Entlastung sollten Eltern indes vom Coaching auch nicht erwarten. Im Gegenteil, sagt sein Berliner Kollege Koch: "Ein Coaching kann auch viel Arbeit bedeuten, das fordert manchmal die ganze Familie." Beispiel Hausaufgaben: Die Eltern müssen darauf achten, dass der Fernseher ausgeschaltet ist und das Kind nicht nebenbei SMS verfasst. Auch Emma und ihre Mutter hatten Verhaltensmuster eingeübt, die Fuchs kritisierte: "Emma brauchte nur die Augenbraue zu heben, wenn es ihr unangenehm wurde, und die Mutter erlöste sie." Emma musste lernen, dass man da draußen auf fast unsichtbare, nonverbale Kommunikation nicht reagiert. Und die Mutter auch.

Das bestehende System hat versagt

Emmas Mutter ist nicht der Typ "leistungsorientierte Stressmami", die ihre erzieherischen Aufgaben gern an andere delegiert. Zumindest wirkt sie im Gespräch nicht so. Es ist eher umgekehrt: Sie habe sich schwere Vorwürfe gemacht, zu spät mitbekommen zu haben, was mit Emma los sei. "Wir sind eigentlich sehr bewusste Eltern. Aber in dem Alter ziehen sich die Kinder ja ohnehin zurück." Außerdem sei sie selbst in der Zeit krank geworden. "Mir fehlte einfach die Power." Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen, fiel ihr schwer.

"Es hat zwei Seiten", sagt sie: "Man ist an neuen Methoden interessiert, wie man mit dem Kind umgehen kann. Andererseits denkt man sich dann: 'Hättest du mal vorher so oder so reagiert.'" Es sind solche Sätze, aus denen die Verunsicherung der Eltern spricht. Allerdings sollte man aufpassen, nicht alles zum Privatproblem zu stilisieren. Speziell im Fall von Mobbing. Das ginge schließlich die ganze Gruppe an, mahnt Schulpsychologe Drewes: das Opfer, die Peiniger, die Lehrer und Eltern, ebenso wie diejenigen, die nicht direkt am Mobbing beteiligt gewesen sind, es aber geduldet haben.

"Die Klasse muss deutlich machen, dass sie ein solches Verhalten nicht will." Für solche Fälle gebe es die Beratungslehrer und Schulsozialarbeiter an den Schulen, ja, ein ganzes System von Schulpsychologischen Diensten, sagt Drewes, der mit dem Coaching wohl auch neue Konkurrenz im Feld heranwachsen sieht. Im Fall von Emma hat das bestehende System jedoch versagt. "Es gab all die Gespräche", sagt die Mutter, "aber die Nachsorge war schlecht. Wir Eltern und die Lehrer hätten darauf gucken müssen, dass es nicht noch einmal passiert." Als das Mobbing nach ein paar Monaten wieder hochkochte, sei für sie nur noch der Schulwechsel in Frage gekommen. Und die Hilfe vom Coach.

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Bis sie Angelika Fuchs gefunden hatte, war es allerdings ein weiter Weg. Wer nach Kindercoaching im Internet sucht, muss sich durch einen Dschungel an Angeboten kämpfen. Da sind die typischen Jobberater, die nicht nur Speed-Stressbewältigung in fünf Minuten, sondern auch Familien- und Kindercoaching anbieten. Da sind Psychotherapeuten, die im Coaching wohl ein zweites Standbein entdeckt haben. "Das Feld ist total unübersichtlich", moniert Emmas Mutter, die bei ihrer Suche verzweifelt nach irgendeiner Referenz Ausschau hielt.

Doch "Kindercoaching" ist genauso wenig geschützt wie Erwachsenencoaching. Es kann sich jeder "Kindercoach" nennen, ohne eine spezielle Ausbildung vorweisen zu müssen. Manche Coaches haben einen Wochenendkurs absolviert und hängen sich ein entsprechendes Zertifikat an die Wand. Manche haben noch nicht einmal das getan.

Einige private Institute bieten Ausbildungskurse an, etwa das Coaching Center Köln, das Angelika Fuchs aufgebaut hat. Die Sechsundvierzigjährige hat ihren Job als Grundschullehrerin vor Jahren aufgegeben, um in der Erwachsenenbildung zu arbeiten. Dann hat sie sich zum Coach ausbilden lassen, eine NLP-Ausbildung kann sie auch vorweisen. Das ist die Abkürzung für Neurolinguistisches Programmieren, die Methode gehört mehr oder weniger zum Coaching-Standardrepertoire. Der innere Anker kommt zum Beispiel aus dem NLP. Unter Psychotherapeuten ist es um den Ruf der Technik indes nicht allzu gut bestellt.

Bei Wahl des Coachs zählt das Bauchgefühl

Koch rät den Eltern, bei der Auswahl des Coaches auf eine solide psychologische Grundausbildung zu achten. Ist ein Coach von Haus aus Lehrer, Psychotherapeut oder Schulpsychologe, sei man möglicherweise an der richtigen Adresse. Aber er will auch Menschen mit BWL-Abschluss nicht die Kompetenz absprechen, sich entwicklungspsychologische Kenntnisse anzueignen.

Bis es Qualifikationsnormen fürs Kindercoaching oder eine anerkannte Coaching-Ausbildung gibt, müssen sich Eltern wohl auf ihr Bauchgefühl verlassen. Die Mutter von Emma hatte den Eindruck, bei Angelika Fuchs richtig zu sein. Freilich hat man beim Coaching nicht viel Zeit, Vertrauen aufzubauen. Die Mutter wollte sichergehen: "Ich habe Frau Fuchs gebeten, mal eine Sitzung aufzuzeichnen, damit ich mir die Arbeit ansehen kann."

Das habe sie beruhigt. Vor allem die Rollenspiele hätten bei Emma, die in Gruppen immer zurückhaltend ist, etwas ausgelöst. Jetzt wisse sie, dass sie sich nicht immer produzieren müsse, und dass es schon reiche, auf dem Schulhof einfach nur dabei zu stehen und mal etwas Kleines zu sagen. "Das Coaching hat etwas aktiviert, was Emma sowieso kann", ist die Mutter überzeugt. Und das ist offenbar gut zu wissen. Für das Kind und die Mutter.


Quelle: Frankfurter Allgemeine, Gesellschaft (FAZ.NET), 12. April 2013.


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Der Inhalt dieser Seite wurde am 31.08.2024 um 13.38 Uhr aktualisiert.
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