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Lesezeichen [ Info senden # QR-Code ] Do 25 April 2024 23:53:01


 Das aktuelle Thema.
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Wenn "Verbraucherschutz" die persönliche Freiheit einschränkt:

Politiker wollen den "Sinn des Lebens" gesetzlich regeln

von Christian Gambke


Ärzte und Heilpraktiker unterliegen dem Heilpraktikergesetz. Psychologen fallen unter das Psychologengesetz. Aber da gibt es noch viele Helfer im deutschen Staat, für die es noch kein besonderes Gesetz gibt. Die Lebensberater, Yogalehrer, Managementberater, Astrologen und alle, die sich von Berufs wegen mit einzelnen Elementen der Persönlichkeit eines Menschen oder seiner Ganzheit beschäftigen, sollen demnächst ein Gesetz übergestülpt bekommen, das ihre Berufsausübung stark einschränken und erschweren wird. Kirchliche Einrichtungen allerdings - auch die Lebens- und Eheberatungsstellen der Kirchen - sollen vom künftigen "Lebensberatungsgesetz" ausgenommen bleiben.


Der gewerbliche Psychomarkt muß durch ein neues Verbraucherschutzgesetz gebändigt werden, lautet eine Forderung, die in den letzten Jahren immer öfter, lauter und vielstimmiger erhoben wird. Die Forderung findet Unterstützung in allen politischen Parteien, vor allem in der SPD. Der Hamburger Senat hat kürzlich im Auftrag der Länder einen Gesetzesentwurf unter dem gewundenen Titel "Lebensbewältigungshilfegesetz" vorgestellt. Weil er flüchtig ausgearbeitet war, wurde er angehalten. Damit hat sich das Thema aber nicht erledigt. Die Enquete-Kommission "Sogenannte Sekten und Psychogruppen" des Bundestages will bis Frühjahr 1998 einen Alternativentwurf zur Vorlage im Bundestag erarbeiten, der die Fehler des Hamburger Entwurfs behebt.

Während auf der politischen Bühne aus Reden und Ideen schon handfeste Gesetzesentwürfe werden, hat die Diskussion über die Notwendigkeit und Ausgestaltung eines neuen Gesetzes auf dem betroffenen Psychomarkt noch kaum begonnen. Die meisten Therapeuten, Berater, Ausbilder und Sinnvermittler ahnen nicht einmal, daß sie von den politischen Akteuren mit dem Schlagwort Verbraucherschutz zum Objekt neuer Reglementierungen gemacht werden sollen. Das ist bedenklich, weil freie Therapien, freie Sinn- und Wissensvermittlung stark beschränkt würden. Zwar reden die Politiker viel vom Verbraucherschutz, die Motive der Befürworter und die Ausgestaltung der Entwürfe weisen aber in eine ganz andere Richtung: Der Markt der Sinnvermittler soll ausgedünnt, die Angebote zu Sinnstiftung und Persönlichkeitsbildung außerhalb von Kirchen und Wissenschaft sollen behindert werden. Der Hamburger Gesetzesentwurf zeigt, wie die beabsichtigte Berufs- und Sinnregulierung politisch verkleidet wird.

Stark eingeschränkte Beratungstätigkeit

Wer alles gehört zum Psychomarkt und muß sich deshalb mit diesen Plänen und den dahinterstehenden Motiven auseinandersetzen? Dazu gerechnet werden alle Veranstalter von Selbsterfahrungsgruppen und -sitzungen, Körpertherapeuten, Veranstalter von Persönlichkeitstrainings und Erwachsenenbildung, Berater für soziale Konflikte und Krisen sowie Berater mittels übersinnlicher Wahrnehmung. Auch Encounter, Tantra, Rolfing, Feldenkrais und Massage, Management- und Kommunikationstrainings, NLP und Kinesiologie, Familienaufstellungen, Aura Soma und Astrologie gehören dazu - sobald für Geld gelehrt wird. Außerdem wird spirituell und weltanschaulich motivierte Selbsterkenntnis und Sinngebung gesetzlich geregelt, also z.B. Yoga und Tibetian Pulsing, meditative Therapien und therapeutische Meditationen. Die Hamburger definieren den Psychomarkt als gewerbliche Veranstaltungen mit dem Ziel, die seelische Befindlichkeit der hilfesuchenden Person oder ihre geistig-seelischen Fähigkeiten zu verbessern. Auf die unterschiedlichen Hintergründe, Methoden und Ziele nehmen die Politiker keine Rücksicht. Werden die im Hamburger Entwurf außergewöhnlich umfangreichen Form- und Inhaltsvorschriften zum Vertragsschluß ins Gesetz übernommen, führen sie für die Lebensberater zu einem immensen Verwaltungsaufwand.

Durch die Koppelung von freiem Rücktrittsrecht und Verbot von An- und Vorauszahlungen in den ersten 4 Wochen ab Vertragsschluß wäre außerdem kurzfristiges Tätigwerden von alternativen Therapeuten praktisch unterbunden. Denn die Veranstalter hätten dann ein hohes finanzielles Risiko. Selbst fünf Minuten vor dem regulären Veranstaltungsende könnte der Klient noch gehen - ohne einen Grund zu nennen und ohne einen Pfennig zahlen zu müssen.

Die "Beweislastumkehr" kann die Existenz vernichten

Mit der geplanten Beweislastumkehr droht den Lebenshelfern ein Haftungsrisiko, das ihnen keine Versicherung abnehmen wird. Wer kann schon objektiv-wissenschaftlich nachweisen, daß seine Lebenshilfe die von einem Klienten monierte Gesundheitsstörung oder -schädigung nicht auslösen kann? Hier ist nicht nur das juristische Risiko sehr hoch. Mittels Verbraucherschutzregelung werden auch naturwissenschaftlich nicht erfüllbare Lehren mit für sie nicht passenden Maßstäben gemessen - eine Forderung des Gesetzgebers, die er bei den Kirchen niemals durchzusetzen wagen würde. Deshalb bleiben die Kirchen vom Gesetz ausgeschlossen.

Die geplanten Vorschriften gehen weit über das im Verbraucherschutz übliche Maß hinaus. Alle Regelungen sollen zwingend sein und dürfen nicht einmal durch schriftliche Absprachen abgeändert werden. Sie sollen für alle Arten von Veranstaltungen gelten, für Einzelsitzungen, Vorträge, kurze und fortlaufende Gruppen und längere Trainings.

Kirchen und Verbände schalten die Konkurrenz aus

Es hat tiefere Ursachen, daß diese scharfen Regelungen nur den Psychomarkt treffen sollen. Das Gesetz wurde von zwei konkurrierenden Lobbygruppen gedanklich vorbereitet und unterstützt: den Sektenbeauftragten der Kirchen (vergl. das Interview mit den beiden Sektenbeauftragten in connection 9-10/97), und den Berufsverbänden der Ärzte, Psychologen und Heilpraktiker.

Die Kirchen sehen darin ihre Chance, alle kleinen Religionen und Weltanschauungen in der praktischen Arbeit zu behindern. Die Ärzte, Heilpraktiker und Psychologen wollen damit ihre leerer werdenden Praxen wieder füllen.

Das neue Recht will allerdings die Lebenshilfe-Beratungen von Vertretern staatlich anerkannter medizinischer Berufe und der Kirchen aussparen. Nur Berufspolitik vermag zu erklären, warum die geplanten Regelungen so irrational verteilt und gestaltet sind. Wenn die Psyche des Menschen einen besonderen Schutz vor Beeinflussung verlangt, wieso soll das Sonderrecht für die Lebensberatung der Kirchen, etwa die Ehe- und Familienberatung, nicht gelten? Kann die Tätigkeit von Seelsorgern und Medizinern keine Schäden verursachen?

Die Lebenshelfer, Therapeuten und Berater haben das neue Gesetz nicht gewollt. Es hat auch keine massenhaften Klagen von Klienten gegeben. Wenn also eine übermäßige Gefährlichkeit für Lebenshelfer nicht nachgewiesen ist, welchen Sinn macht es dann, nur für sie Regelungen zu schaffen, die ansonsten kein anderer Dienstleister befolgen muß? Auch Verbraucherschutz rechtfertigt nicht, daß ein wesentlicher Teil der Lebenshilfe praktisch unmöglich gemacht werden soll.

Soll Deutschland geistig veröden?

Hinter den Gesetzesplänen steht noch ein weiteres Motiv: Die Zahl der Sinnangebote soll reduziert und staatlich genauer kalkulierbar werden. Dabei signalisiert gerade die Vielzahl der Angebote freier Lebenshelfer die Unterschiedlichkeit der Methoden und Ansätze. Der Umfang, in dem die Angebote in Anspruch genommen werden, zeigt, daß Menschen mehr brauchen, als ihnen Kirchen, Ärzte und Psychologen zur Verfügung stellen. Menschen lassen sich nun einmal nicht über einen Kamm scheren.

Es ist eine deutsche Spezialität, auf Vielfalt und Offenheit mit Kontrolle zu reagieren und die Suche nach Sinn und Verstehen als irrational zu verteufeln, solange keine Behörde darüber wacht. Die positiven Wirkungen der alternativen Methoden fallen unter den Tisch. Der alternative Bereich als Quelle vieler neuer und fruchtbringender Ideen wird nicht gewürdigt.

Keine Chance für kleine Fluchten

Den Lebensberatern wird nichts anderes übrig bleiben, als sich mit den Gesetzesvorlagen zu beschäftigen und sich in den politischen Bereich hinein zu artikulieren. Die Flucht in einen medizinischen Beruf, wie z.B. in den Psychologischen Heilpraktiker, kommt für die meisten nicht in Frage. Wer nicht medizinisch arbeitet, sondern nach anderen wissenschaftlichen Methoden, wie Managementtrainer, wer nur Selbsterfahrung vermitteln will oder wessen Verständnis vom Heilen spiritueller Natur ist, der würde als Heilpraktiker unter falschem Etikett firmieren. Außerdem kann sich die Hoffnung, man sei als Heilpraktiker sicher, leicht als Sackgasse erweisen, weil der Staat für Medizin die volle Gesetzeskompetenz hat und die Vorschriften jederzeit verschärfen kann, etwa durch Einführung eines Katalogs zugelassener Methoden.

Gerade die Verbraucher müßten ein Interesse daran haben, daß die mit der Regelung der Lebenshilfe einhergehende Verödung des geistigen Austauschs in Deutschland auf ein behördlich gewünschtes Kleinmaß nicht zustande kommt. Es ist schließlich ihre Wahlfreiheit, die auf dem Spiel steht.


So soll der Psychosumpf trockengelegt werden

Für alle Heilungs-, Selbsterfahrungs- oder Lehrveranstaltungen zur Förderung einzelner Elemente der Persönlichkeit des Menschen oder seiner Ganzheit sollen u.a. folgende Vorschriften gelten. Ausgenommen davon sind nur Einrichtungen der staatlich anerkannten Kirchen und Ärzte, Heilpraktiker und Psychologen:

  • Ein schriftlicher Vertrag mit 10 verschiedenen Pflichtangaben ist Bedingung für die Lebensberatung.

  • Rücktrittsrecht bis 4 Wochen nach Vertragsabschluß. So lange dürfen Zahlungen nicht entgegengenommen werden. Klienten könnten innerhalb dieser Frist laufende Veranstaltungen ohne anteilige Zahlung verlassen.

  • Für alle zeitnah zu der Veranstaltung auftretenden Gesundheitsstörungen oder -schäden haftet der Veranstalter, wenn ihm der Beweis mißlingt, daß seine Methoden nicht ursächlich waren. (Beweislastumkehr)

  • Ausschließlicher Gerichtsstand ist der Wohnsitz des Klienten. Im Streitfall müßte also der Veranstalter sich am Wohnort des Klägers einen Anwalt suchen und auch zu einem eventuellen Prozeß dort erscheinen.

Wer sich jetzt bereits als Heiler betätigt und fürchtet, von seinem juristischen Erscheinen her nicht gesetzeskonform aufzutreten, findet rechtliche Tips und Hinweise in dem Buch: Rechtshandbuch für Heiler von Dr. Bernhard Firgau. Gegen Vorkasse von 40.- DM direkt beim Autoren, Stettinerstr. 6, 69469 Weinheim.


Christian Gambke, 50, als Rechtsanwalt und Counselor in München tätig, hatte in den letzten 15 Jahren mehr Gelegenheiten als ihm lieb war, sich mit den staatlichen und gesellschaftlichen Mechanismen zu befassen, mit denen Spiritualität und Bewußtheit diskriminiert werden.

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Quelle: connection 11/97; Übernahme mit Genehmigung der connection-medien.


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Der Inhalt dieser Seite wurde am 09.03.2021 um 14.48 Uhr aktualisiert.
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